Atomunfall

Atomunfall

  • Welches medizinische Problem tritt nach einem Atomunfall auf?

    Bei einem Atomunfall werden nicht-radioaktive Stoffe aber auch radioaktive Stoffe freigesetzt. Medizinisch bedeutsam ist vor allem das radioaktive Jod, weil es die gleichen Eigenschaften wie das natürliche Jod aufweist und sich somit in der Schilddrüse anreichert. Folge kann ein Schilddrüsenkarzinom sein. 

  • Wie kann der Körper das radioaktive Jod aufnehmen?

    Es kann eingeatmet werden, aber auch über die Nahrung und Getränke aufgenommen werden. 

  • Kennst du die sieben Verhaltensweisen, die das Bundesministerium, das für die nukleare Sicherheit zuständig ist, bei einem Atomunfall empfiehlt?

    1. Zuhause bleiben (Kinder, die sich noch in öffentliche Einrichtungen befinden, sollten nur abgeholt werden, wenn die Behörden dies ausdrücklich empfehlen, ansonsten werden die Kinder von den Katastrophenschutzbehörden versorgt und evakuiert)
    2. Aufenthalt in innenliegenden Räumen oder Kellern sollte bevorzugt werden
    3. Türen und Fenster sollten geschlossen werden, zudem sollten Klima- und Lüftungsanlagen ausgeschaltet werden
    4. Vor Betreten des Hauses sollte die kontaminierte Kleidung/Schuhe ausgezogen und in Plastiktüten verstaut werden, danach sollten erst die Hände und andere unbedeckte Hautbereich wie das Gesicht gründlich gewaschen werden, anschließend sollte geduscht werden.
    5. Selbst geerntetes Gemüse und Obst sowie tierische Produkte wie Milch vom eigenen Hof dürfen nicht verzehrt werden.
    6. Anweisungen von den Katastrophenschutzbehörden (Radio/TV/Lautsprecherdurchsagen/Warnapp) verfolgen und umsetzen.
    7. Unnötige Anrufe bei der Polizei, Feuerwehr und Notruf sollten unterbleiben. 
  • Darf in Deutschland nach einem Atomunfall noch Leitungswasser getrunken werden?

    Ja, Leitungswasser wird kontrolliert und bei radioaktiver Belastung nicht in die Versorgung eingespeist.

  • Kennst du die zwei Arten von Strahlenschäden?

    • deterministische Strahlenwirkungen
    • stochastische Strahlenschäden
  • Kannst du das klinische Bild bei der erstgenannten Strahlenschädigung erläutern?

    Wenn die Strahlendosis einen gewissen Schwellenwert (ca. 500 Millisievert beim Erwachsenen) überschreitet, gehen Zellen zugrunde. Besonders betroffen sind Haut, Haare und der Gastrointestinaltrakt. Klinisch können sich verbrennungsähnliche Hauterscheinungen präsentieren, es kann zu Haarausfall und Übelkeit kommen. Ferner kann unter anderem die Fruchtbarkeit und die Blutbildung beeinträchtigt werden. Spätschäden in Form von Lungenfibrose oder Herz- und Kreislauferkrankungen sind ebenfalls möglich. Fehlbildungen bei Ungeborenen dürfen auch nicht unerwähnt bleiben. 

  • Was sind im Gegensatz dazu die stochastischen Strahlenschäden?

    Es handelt sich dabei um Schäden, die später aufgrund einer Erbgutschädigung auftreten. Nach einem Reaktorunfall kommen vor allem das Schilddrüsenkarzinom und leukämische Krankheitsbilder gehäuft vor.

  • Welche Prophylaxe ist nach einem Atomunfall möglich?

    Jodblockade 

  • Gibt es für dieses Vorgehe einen nachgewiesenen Nutzen?

    Der Nutzen ist unbestritten. Der Reaktorunfall von Tschernobyl führte in Polen zu einer Prävention besonders der Kinder mit Jodtabletten. Eine Nachuntersuchung bestätigte den präventiven Charakter; die behandelten Personen hatten kein höheres Risiko für Schilddrüsenkrebs. In Weißrussland, wo keine Jodblockade durchgeführt wurde, trat Schilddrüsenkrebs hundertmal häufiger auf.

  • Welcher Mechanismus verbirgt sich hinter dieser Jodblockade?

    Wolff-Chaikoff-Effekt

  • Kannst du diesen Mechanismus auch erklären?

    Wenn die Jodzufuhr drastisch erhöht wird, blockiert ein bisher unbekannter Mechanismus die Jodaufnahme in die Follikel der Schilddrüse und reduziert so die Hormonsynthese. Da andere Organe Jod nicht aufnehmen können, wird das radioaktive Jod ausgeschieden oder abgebaut.

  • Wie fängt die Schilddrüse nach so einer Jodblockade wieder an Jod aufzunehmen?

    Bei einer gesunden Schilddrüse ist dieser Kompensationsmechanismus nach einer hohen Jodzufuhr selbstlimitierend. 

  • Kennst du neben dem Atomunfall weitere medizinische Beispiele, wo der Wolff-Chaikoff-Effekt eine Rolle spielt?

    • Früher wurde nach einem vorzeitigen Blasensprung bei der Mutter eine jodhaltige Vaginalspülung durchgeführt. Heute wird davon Abstand genommen, weil die hohe Joddosis, die das Kind dann ausgesetzt ist, eine Blockade mit hypothyreotischer Stoffwechsellage auslösen kann.
    • Medikamente 
  • Welche Menschen sollten bei einem Reaktorunfall in Deutschland Jodtabletten nehmen und welche nicht?

    Kinder

    • die Schilddrüse von Kindern ist aktiver, da sie Wachstumsprozesse steuert und nimmt mehr radioaktives Jod auf, daher sind Kinder die Hauptzielgruppe dieser Prophylaxe

    Schwangere

    • ab der 12. SSW nimmt das ungeborene Kind Jod in die Schilddrüse auf, daher sollten auch Schwangere ihr ungeborenes Kind durch eine Prophylaxe schützen

    über 45-Jährige

    • sollten prophylaktisch keine Jodtabletten nach einem Reaktorunfall einnehmen; zum einen nimmt das Risiko für Schilddrüsenkrebs verursacht durch ionisierende Strahlen ab, zum anderen steigt in dem Alter auch das Risiko an einer funktionellen Schilddrüsenautonomie zu leiden (die Jodblockade löst dann Nebenwirkungen aus)
  • Was ist bei der Einnahme unbedingt zu berücksichtigen, damit die Jodblockade auch funktioniert?

    Es muss der richtige Einnahmezeitpunkt erwischt werden. Wenn die Einnahme zu früh erfolgt, kann der Wolff-Chaikoff-Effekt schon abgeflacht sein, wenn die radioaktive Wolke den Wohnort überquert. Die Katastrophenschutzbehörden haben als Erste Kenntnis über Ausbreitung der Wolke und die Freisetzung des radioaktiven Jods, daher sollte das ärztliche Personal ihre Patienten darauf hinweisen, die Jodtabletten nicht einfach so zunehmen, sondern die Empfehlungen der Behörden umzusetzen.

  • Wie kommt die Bevölkerung an Jodtabletten?

    Im Fall eines Reaktorunfalles wird in Deutschland die Bevölkerung kostenlos mit Jodtabletten (Kaliumiodid-Tabletten) versorgt. Diese Tabletten haben keine Schachtel, sondern werden als Tablettenstreifen mit einem Merkblatt herausgegeben. Daneben gibt es auch Haushaltspackungen, die Menschen, die sehr nahe an einem Atomkraftwerk wohnen, bereits von den Behörden erhalten haben. 

  • Was könnte passieren, wenn Bürger nach einem Atomunfall anstatt der Kaliumiodidtabletten, die vom Staat verteilt werden, die handelsüblichen Jodtabletten aus der Drogerie oder der Apotheke einnehmen?

    Die Jodtabletten, die z.B. in der Schwangerschaft oder bei einer Struma eingesetzt werden, enthalten lediglich 100 - 200 µg (0,1 – 0,2 mg) Kaliumiodid. Um den Wolff-Chaikoff-Effekt zu erzielen, enthalten die Tabletten, die nach einem Atomunfall herausgegeben werden, eine deutlich höhere Menge an Kaliumiodid (65mg). Somit ist von der Selbstmedikation entschieden abzuraten, da kein Nutzen, aber dafür ein Schaden eintreten kann. 

  • Was ist bei der Tabletteneinnahme zu beachten?

    Nach Aufforderung durch die Katastrophenschutzbehörden sollten die Tabletten entweder geschluckt oder in Wasser aufgelöst werden. Nach der Auflösung der Tablette muss das Getränk sofort konsumiert werden, da die Haltbarkeit rasch nachlässt. Bei Säuglingen und Kindern kann die Tablette auch in Saft oder Tee aufgelöst werden. Die Tabletten sollten möglichst nicht auf nüchternen Magen genommen werden. 

  • Wie sieht es mit der Dosierung aus?

    • < 1 Monat → ¼ Tablette (16,25 mg Kaliumiodid)
    • 1 Monat - 3 Jahre → ½ Tablette (32,5 mg Kaliumiodid)
    • 3 - 12 Jahre → 1 Tablette (65 mg Kaliumiodid)
    • 12 - 45 Jahre → 2 Tabletten (130 mg Kaliumiodid)
    • Schwangere und Stillende → 2 Tabletten (130 mg Kaliumiodid)
    • > 45 Jahre → keine Prophylaxe
  • Wie oft muss die Einnahme erfolgen?

    In der Regel kann die Jodblockade mit einer einmaligen hohen Dosis erreicht werden. Eine erneute Gabe ist nur auf ausdrückliche Empfehlung der Katastrophenschutzbehörden sinnvoll.

  • Welche Nebenwirkungen sind möglich?

    • Reizung der Magenschleimhaut; besonders nach Einnahme auf nüchternen Magen
    • allergische Reaktionen 
    • jodinduzierte Schilddrüsenüberfunktion 
  • Welche Patienten dürfen keine Kaliumiodidtabletten einnehmen?

    • Hyperthyreose → Rücksprache mit dem ärztlichen Team erforderlich
    • Überempfindlichkeit gegen Jod (sehr selten; nicht zu verwechseln mit einer Allergie gegen Röntgenkontrastmittel)
    • Dermatitis herpetiformis Duhring (chronische Hauterkrankung)
    • Hypokomplementämische Vaskulitis (seltene Vaskulitis)
  • Können Patienten mit Hashimoto-Thyreoiditis oder Morbus Basedow die hohen Dosen vertragen?

    Patienten mit Morbus Basedow oder einem Schilddrüsenknoten sollten keine Jodblockade durchführen, da der Nutzen geringer ist, als die Gefahr eine thyreotoxische Krise oder eine relevante hyperthyreotische Stoffwechsellage auszulösen. Die Hashimoto-Thyreoiditis ist keine Kontraindikation für eine kurzzeitige Kaliumjodid-Einnahme.

  • Welche ärztliche Organisation setzt sich für die Abrüstung atomarer Waffen ein und wurde 1985 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet?

    IPPNW Deutschland - Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

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