FALL

Eine 27-Jährige Patientin wird vom Hausarzt in die Klinik überwiesen, da sie an den Beinen und am Bauch Petechien hat. Heute morgen hatte sie auch Nasen- und Zahnfleischbluten, was für sie sehr untypisch ist. Die Patientin ist nie ernsthaft krank gewesen. Sie macht einen besorgten Eindruck, fühlt sich aber nicht krank. Des Weiteren gibt sie an, vor drei Wochen eine Erkältung gehabt zu haben. Es wurde bereits ein Blutbild angefertigt. Bis auf die Thrombozyten, die stark abgefallen sind, ist das Blutbild blande. Auch die Gerinnungsparameter sind alle im Normalbereich.

Krankheitsbild

  • Wie lautet deine Verdachtsdiagnose?

    Immunthrombozytopenie

  • Deine Patientin fragt dich, wie diese Erkrankung entstehen kann?

    Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der Antikörper gegen die Thrombozyten gerichtet sind. Bei der akuten Form wird häufig ein vorausgegangener Infekt beschrieben. Es wird daher diskutiert, ob kreuzreaktive Antigene von viralen Krankheitserregern durch molekulares Mimikry die Antikörperbildung gegen Thrombozyten auslösen.

  • Kannst du die zwei Verlaufsformen nennen?

    akute Form

    • häufig im Kindesalter
    • bei 80% tritt eine Spontanremission ein

    chronische Form

    • länger als 12 Monate anhaltend
    • überwiegend im Erwachsenenalter

Diagnostik

  • Welche Blutungszeichen sind mit der Immunthrombozytopenie gut vereinbar und welche sprechen eher dagegen?

    typisch → bei thrombozytärer Gerinnungsstörung

    • Petechien
    • Epistaxis
    • Menorrhagien
    • intrazerebrale Blutungen selten

    asymptomatische Verläufe möglich


    untypisch → eher bei Störungen der plasmatischen Gerinnung

    • flächenhafte Hämatome
    • Gelenkeinblutungen
  • Wie kannst du klinisch Petechien von anderen roten Hauteffloreszenzen unterscheiden?

    Petechien sind nicht wegdrückbar, das heißt, die Rötung bleibt auch beim Wegdrücken mit einem Glasspatel bestehen.

  • Im Zusammenhang mit Petechien ist auch oft die Rede vom Rumple-Leede-Test. Kannst du diesen Test beschreiben und erläutern, was er aussagt?

    Dafür wird am Oberarm eine Blutdruckmanschette aufgepumpt, nach 10 Minuten wird geschaut, ob sich Petechien gebildet haben. Ein positiver Test kann für eine Thrombozytopenie sprechen. Ebenso wäre eine Thrombozytenfunktionsstörung oder eine erhöhte Kapillarfragilität möglich.

  • Welche Laborwerte schaust du dir differentialdiagnostisch genauer an?

    Blutbild

    • Bi-/Panzytopenie → maligne Erkrankung
    • Hinweise auf einen Vitamin-B12-Mangel oder Folsäuremangel → makrozytäre Anämie, LDH-Erhöhung
    • Nierenretentionswerte → HUS
    • Gerinnungsparameter → pathologisch bei plasmatischer Gerinnungsstörung

    Blutausstrich → immer erforderlich

    • vergrößerte Thrombozyten → wegen der kompensatorisch gesteigerten Megakaryozytopoese (Ausnahme: Antikörper können auch gegen Megakaryozyten gerichtet sein)
    • differentialdiagnostisch → Fragmentozyten bei HUS
  • Wie sieht es mit dem Antikörpernachweis gegen Thrombozyten aus?

    Eine routinemäßige Untersuchung bei einer neu-diagnostizierten Erkrankung wird nicht empfohlen, sondern bleibt persistierenden und atypischen Verläufen vorbehalten. Zumal die relevanten Antikörper gegen Thrombozyten nur bei etwa 60 Prozent nachgewiesen werden können.

  • Wann käme eine Knochenmarkpunktion in Betracht?

    • Patienten > 60 Jahre
    • atypische Verläufe
    • Hinweise auf malignes Geschehen im Blutbild → Leukozyten / Erythrozyten sind ebenfalls verändert, LDH / Entzündungsparameter erhöht
    • Untersuchungsbefunde → B-Symptomatik, Hepatosplenomegalie, Lymphknotenschwellung
    • vor Splenektomie
  • Als du dir die Akte deiner Patientin nach dem Wochenende ansiehst, siehst du, dass eine andere Ärztin eine Autoimmundiagnostik (ANA, ANCA, DS-DNA usw.) angefordert hat. Was könnte der Grund sein?

    Neben der primären Immunthrombozytopenie (80 %) gibt es auch die sekundäre Form (20%), die im Rahmen von anderen Erkrankungen auftritt. Bei persistierenden Verläufen oder entsprechender Anamnese ist eine entsprechende Diagnostik ratsam. 


    Die drei häufigsten Ursachen für eine sekundäre ITP sind:

    • Autoimmunerkrankungen (SLE)
    • CLL
    • Medikamente
  • Erwartest du eine Splenomegalie?

    Eine Splenomegalie ist untypisch, kann aber in Einzellfällen vorkommen. Bei einer Splenomegalie in Kombination mit einer Thrombozytopenie sollte verstärkt an Lebererkrankungen, Lymphomen und seltenen Stoffwechselkrankheiten (z.B. Morbus Gaucher) gedacht werden.

Therapie

  • Bis zu welchem Thrombozytenabfall würdest du die Therapie nach dem Watch and Wait Prinzip verfolgen?

    Solange keine Blutungen bestehen und die Thrombozyten nicht unter 30.000/μL fallen. Allerdings weisen die Leitlinien auch daraufhin, die Therapieentscheidung nicht alleine davon abhängig zu machen, auch das Krankheitsstadium, der Verlauf und individuelle Faktoren sind zu berücksichtigen.

  • Wie sieht die Erstlinientherapie aus, wenn die Thrombozyten weiter abfallen oder es zu Blutungen kommt? Kannst du grob die Wirkung des Medikaments erläutern?

    Kortikosteroide (initial hohe Dosis, dann eine ausschleichende Dosierung) → hemmen die Antikörper, Wirkung tritt verzögert ein

  • Welche Therapie leitest du ein, wenn schwere Blutungen auftreten? Kannst du erklären, auf welchem Prinzip die Wirkung basiert?

    Immunglobuline → blockieren in der Milz das retikulohistiozytäre System und hemmen somit den Abbau der Thrombozyten, die Folge ist ein kurzfristiger Anstieg der Thrombozyten

  • Es gibt noch weitere Therapieoptionen. Kannst du welche nennen?

    • Thrombozytopoese-stimulierende Arzneimittel (Romiplostim, Eltrombopag)
    • Immunsuppressiva (Rituximab)
    • Thrombozytenkonzentrate
    • Splenektomie
  • Wo ist das Problem bei der Gabe von Thrombozytenkonzentraten, weswegen ihre Gabe nur bestimmten Fälle vorbehalten ist?

    • nur kurzfristiger Anstieg möglich, da die Antikörper sich auch gegen die infundierten Thrombozyten richten
    • Iso-Antikörperbildung gegen Thrombozyten
  • Kennst du im Rahmen der Immunthrombozytopenie eine Erkrankung des Magens, die du ggf. mitbehandeln musst?

    Eine Helicobater-pylori Besiedlung sollte eradikadiert werden, da sie die Immunthrombozytopenie begünstigen kann. Besonders bei persistierenden Verläufen sollte eine Diagnostik betrieben werden.

Differentialdiagnosen

  • Was ist die wichtigste Differentialdiagnose der ITP?

    Laut den aktuellen Leitlinien ist das die medikamenteninduzierte Thrombozytopenie. Die Abgrenzung ist sehr schwierig. Wichtig ist, dass auch nicht-rezeptpflichtige und naturheilkundliche Substanzen infrage kommen. 

  • Kennst du weitere Differentialdiagnosen?

    Bildungsstörungen

    • angeborene Bildungssstörung
    • Vitamin-B12-Mangel oder Folsäuremangel
    • Knochenmarkschädigung → maligne Prozesse, toxische Schädigung

    Verbrauchsstörungen

    • ITP
    • Heparin-induzierte Thrombozytopenie Typ II
    • Hypersplenismus
    • Lebererkrankungen
    • Infektionen und Sepsis
    • DIC
    • HELLP-Syndrom
    • Hämolytisch-urämisches Syndrom 
  • Warum können die Thrombozyten bei Lebererkrankungen vermindert sein?

    • bei Lebererkrankungen steigt der Pfortaderhochdruck und die Milz wird stärker durchblutet, dadurch ist sie aktiver und baut vermehrt Thromboyzten ab 
    • Thrombopoietin wird unter anderem in der Leber gebildet (stimuliert auf Ebene des Knochenmarks die Bildung der Megakaryozyten, aus denen dann die Thrombozyten hervorgehen)
  • Wie nennt man das Syndrom, wenn die Immunthrombozytopenie zusammen mit einer autoimmunhämolytischen Anämie in Erscheinung tritt?

    Evans-Syndrom → bei Vorliegen einer Anämie weitere Abklärung erforderlich