FALL

Zu dir kommt ein 70-Jähriger Mann, den du schon lange wegen einer COPD betreust. Er berichtet von seinem Bruder, der im Krankenhaus liegt, weil ein unentdecktes Bauchaortenaneurysma plötzlich Schmerzen verursacht hat und eine Notfall-Operation erfolgen musste.

Krankheitsbild

  • Kennst du die Ursachen dieser Erkrankung?

    • häufigste Ursache (95%) → Schwächung der Arterienwand durch Atherosklerose (v.a. Nikotinabusus und Hypertonie)
    • seltene Ursachen: Erkrankungen des Bindegewebes (Marfan-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom), inflammatorisch (Syphilis), Vaskulitis (Takayasu-Arteritis)
  • Es gibt drei verschiedene Arten von Aneurysmen. Kannst du diese benennen und kurz erläutern?

    Aneurysma verum  die gesamte Gefäßwand mit allen drei Schichten ist erweitert


    Aneurysma dissecans  durch einen Riss in der Intima kann sich das Blut zwischen den Gefäßwandschichten einen neuen Weg suchen und mündet ggf. durch einen weiteren Riss weiter distal wieder in das ursprüngliche Gefäßlumen


    Aneurysma spurium  iatrogen oder traumatisch bedingter Defekt der Gefäßwand, es bildet sich eine falsche Wand aus perivaskulären Strukturen

  • Dein Patient war völlig beschwerdefrei. Kennst du Symptome, die auf ein Bauchaortenaneurysma hindeuten können?

    • meist symptomfrei
    • Abdominal- oder Flankenschmerzen
    • pulsatiler Abdominaltumor
    • Anurie oder Oligurie bei Beteiligung der Nierenarterien

Diagnose

  • Dein Patient hat sich im Internet über dieses Krankheitsbild informiert und möchte nun wissen, ob ein Screening bei ihm ratsam wäre?

    Besonders Männer ab 65 Jahren und Frauen ab 65 Jahren, die rauchen, scheinen von einem Screening zu profitieren. Hinzu kommen noch all diejenigen, die eine positive Familienanamnese aufweisen. Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass die Mehrzahl der Aneurysmen harmlos ist. Viele Patienten sind beängstigt und hätten am liebsten nie etwas davon erfahren.

  • Welche Untersuchung eignet sich als Screeningmethode für ein Bauchaortenaneurysma am besten?

    Ultraschalluntersuchung (nur bei schlechter Beurteilbarkeit oder präoperativ folgen weitere Untersuchungen wie CT-Angio oder MR-Angio)

  • Du führst die Untersuchung durch und misst infrarenal einen Durchmesser von 4,5 cm. Kannst du diesen Wert interpretieren?

    Infrarenal > 3 cm = Bauchaortenaneurysma

  • Ist die infrarenale Lage typisch?

    Ja. 90 % aller Aortenaneurysmen sind infrarenal (Unterhalb der A. renalis) lokalisiert. Suprarenale Bauchaortenaneurysmen oder thorakale Aneurysmen sind deutlich seltener.

Therapie

  • Wie sieht dein weiteres Vorgehen aus: Dein Patient ist Hypertoniker, hat aufgrund seines Nikotinabusus eine COPD entwickelt und hat nun ein Aneurysma mit einem Durchmesser von 4,5 cm?

    konservative Maßnahmen

    • Nikotinverzicht
    • Behandlung der Hypertonie
    • Behandlung der COPD → starker Husten kann den intraabdominalen Druck erhöhen, Folge kann eine Ruptur des Aneurysmas sein

    Untersuchungen

    • regelmäßige Sono-Kontrollen
    • Ausschluss weiterer Aneurysmen und prüfen, ob andere athereosklerotisch bedingte Erkrankungen vorliegen
  • Dein Patient fragt dich, warum du ihm keine Operation vorschlägst. Sein Bruder habe ja auch deswegen eine Operation gehabt.

    OP-Indikationen bei einem Bauchaortenaneurysma:

    • symptomatische Aneurysmen (z.B. Schmerzen) unabhängig von der Größe
    • Durchmesser > 5 cm oder schnelle Größenzunahme; auch bei asymptomatischen Aneurysmen
  • In welchem Zeitfenster müsste ein Aneurysma unabhängig von der Größe, das z.B. Schmerzen verursacht, operiert werden?

    innerhalb von 24 Stunden

  • Jahre später kommt dein Patient zu einer Sono-Kontrolle und du misst 6 cm infrarenal. Welche Verfahren stehen nun zur Verfügung?

    • offene Operation
    • Endovaskuläre Aortenreparatur (EVAR) → über die Leiste wird ein Graft eingesetzt
  • Kannst du grob erläutern, wie die offene Operation abläuft?

    • Blutzufuhr wird unterbunden 
    • Aneurysma wird eröffnet, ggf. Ausräumung von Thromben
    • Gefäßprothese (Rohr- oder Y-Prothese) wird eingesetzt und an beiden Enden mit der Aorta vernäht
    • die aufgeschnittene  Gefäßwand des Aneurysmas wird wie eine Jacke um die Prothese gelegt und vernäht 
  • Du stellst deinem Patienten beide Methoden vor und dein Patient möchte anschließend eine Einschätzung bezüglich des OP-Risikos haben.

    Die offene Operation ist nach wie vor Goldstandard und wird bevorzugt bei Personen mit einem guten Gesundheitszustand eingesetzt. 30 Tage nach dem Eingriff versterben bei der endovaskulären Methoden zwar weniger Patienten als bei der offenen Operation, vier Jahre nach dem Eingriff besteht allerdings kein Unterschied mehr. Bei den Patienten, die ein interventionelles Prozedere hatten, war zudem deutlich häufiger ein Folgeeingriff erforderlich, da die Fixierung des Fremdmaterials nicht so stabil erfolgen kann wie bei einer Operation.

  • Hin und wieder kommen thorakoabdominelle Aneurysmen vor. Wie werden Operationsverfahren genannt, bei dem ein Anteil (zum Beispiel der thorakale Anteil) mit einem endovaskulären Stent versorgt wird und der andere Anteil (zum Beispiel der abdominelle Anteil) operativ versorgt wird?

    Hybridverfahren

  • Dein Patient hat das Aneurysma chirurgisch versorgen lassen und alles verlief, wie geplant. Monate nach der Operation kommt dein Patient allerdings in Begleitung eines Notarztes in die Notaufnahme: RR 100/70, Puls 130, Ehefrau berichtet über Blutverlust über den Magen-Darm-Trakt. Welche OP-Komplikation erklärt dieses Beschwerdebild?

    Es könnte sich um eine aortoenterische Fistel handeln. Durch die Prothese kann die Darmwand irritiert werden und eine Verbindung zwischen Prothese und Darmlumen entstehen.

  • Kennst du die Hauptkomplikation bei einer interventionellen Stent-Implantation?

    Endoleckage → das Aneurysma wird weiter durchblutet und kann ungehindert weiterwachsen

  • Stelle dir folgendes Szenario vor: Ein Patient bekommt eine endovaskuläre Aortenrekonstruktion und postoperativ siehst du einen deutlichen Kreatininanstieg. Worauf deutet das hin?

    Wahrscheinlich wurde der Stent nicht korrekt eingesetzt oder er ist postoperativ verrutscht und verlegt die Nierenarterien.

Komplikationen

  • Dein Patient möchte noch wissen, was passieren könnte, wenn er sein Bauchaortenaneurysma nicht versorgen lässt?

    • Ruptur
    • Dissektion
    • Embolie (durch Thrombenbildung in der Gefäßaussackung)
  • Dein Patient möchte wissen, wie hoch das Rupturrisiko ist und welche Faktoren das Risiko erhöhen?

    Abhängig von der Größe:

    • 4 - 5 cm → Ruptur bei 3 von 100 Patienten
    • 5 - 6 cm → Ruptur bei 10 von 100 Patienten
    • > 7 cm → Ruptur bei 60 von 100 Patienten

    Erhöhtes Risiko zusätzlich bei:

    • Hypertonie
    • Nikotinabusus
    • COPD
    • schnelle Größenzunahme des Aneurysmas
  • Mit welchen Symptomen würde ein Patient auffallen, bei dem das Aneurysma rupturiert ist?

    • Patient > 50 mit plötzlichen Abdominal- und/oder Rückenschmerzen
    • Schocksymptomatik → Hypotension, Tachykardie
    • pulsatile abdominale Masse tastbar
  • Welche Diagnostik würdest du bei diesen Symptomen durchführen?

    CT-Abdomen → Kontrastmittelaustritt, Lumenerweiterung der A. abdominalis

  • Ein rupturiertes Bauchaortenaneurysma wurde radiologisch gesichert. Der Zustand des Patienten bessert sich zwischenzeitlich. Wie lässt sich das erklären?

    Das Retroperitoneum füllt sich mit Blut und kann als Tamponade dienen. Dieser Effekt ist jedoch nicht dauerhaft und kann sich schnell ändern. Die Tamponade ist nicht als sichere Lösung zu betrachten, und der Patient benötigt dringend eine chirurgische Intervention, um das Aneurysma zu reparieren und die Blutung endgültig zu stoppen.