FALL

Eine 40-Jährige Frau sucht deine internistische Praxis auf. Sie hat Schluckbeschwerden und ein beengendes Gefühl in der Halsregion. Du untersuchst die Schilddrüse und dir fällt ein derber, nicht-schluckverschieblicher Knoten auf. Bei Reklination fällt auch eine Struma auf. Der TSH-Wert ist im Normalbereich.

Krankheitsbild

  • Wie lautet deine Verdachtsdiagnose?

    Struma maligna

  • Kannst du die vier Formen nennen und auch grobe Häufigkeitsangaben machen?

    • papilläres Schilddrüsenkarzinom (65 %)
    • follikuläres Schilddrüsenkarzinom (25 %)
    • medulläres Schilddrüsenkarzinom (5 %)
    • anaplastisches Schilddrüsenkarzinom (5 %)
  • Welche Risikofaktoren sind dir bekannt?

    • Aufnahme von radioaktivem Jod (Atomunfall)
    • Bestrahlung der Kopf-Hals-Region (besonders in der Kindheit)
    • genetische Disposition
    • Jodmangel 
  • Welche Symptome können auftreten?

    • Struma; Normalgröße schließt Karzinom aber nicht aus
    • vergrößerte Halslymphknoten
    • verdrängendes Wachstum → Dysphagie, Dyspnoe, obere Einflussstauung
    • Infiltration des N. laryngeus recurrens → Heiserkeit 
    • Infiltration nervaler Strukturen → Horner-Syndrom
  • Kannst du das letztgenannte Syndrom beschreiben?

    Symptomenkomplex 

    • Miosis → Ausfall des Musculus dilatator pupillae 
    • Ptosis → Ausfall des Musculus tarsalis superior
    • Enophthalmus → Ausfall des Musculus orbitalis

Diagnostik

  • Welcher Befund ist beim Abtasten malignitätsverdächtig?

    Derbe, nicht-schluckverschiebliche Knoten und ggf. vergrößerte Halslymphknoten sind malignitätsverdächtig.

  • Neben der Anamnese und der klinischen Untersuchung führst du welche Untersuchung als nächstes durch?

    Sonographie

  • Welcher Befund ist dabei verdächtig?

    • Karzinom → meist echoarm, kein Halo-Zeichen, schlecht abgrenzbare Ränder, vermehrte Binnenvaskularisation, vergrößerte Lymphknoten
    • autonomes Adenom → auch meist echoarm, aber mit Halosaum
    • Zysten sind meist echofrei
  • Was ist mit dem Halo-Zeichen gemeint?

    Als Halo bezeichnet man in der Radiologie eine ringförmige Struktur, die um ein Gewebe angeordnet ist. In der Schilddrüsensonographie ist das Vorhandensein eines echoarmen Randsaums ein Zeichen für ein gutartiges Adenom.

  • Wie ist die Stoffwechsellage bei einem Karzinom?

    Kann variieren; meist liegt eine Euthyreose vor. Der TSH-Wert und die Hormone T3 und T4 geben keine Auskunft über ein mögliches Malignom.

  • Welche Untersuchung schließt sich jetzt noch an?

    Szintigraphie

  • Kannst du die Untersuchung kurz beschreiben?

    Ein Radiopharmakon (z.B. 99mTc), das über die Vene gegeben wird, wird ausschließlich von der Schilddrüse aufgenommen. Je aktiver die Schilddrüse ist, desto mehr wird von dem Pharmakon aufgenommen. Diese Anreicherung kann durch eine Gammakamera sichtbar gemacht werden. Die aktiven Bereiche werden meist rot dargestellt und werden als heiße Knoten bezeichnet. Bereiche mit geringer Aktivität werden blau dargestellt und als kalte Knoten bezeichnet.

  • Welcher Befund ist verdächtig?

    Die Bilder von Ultraschall und Szintigraphie werden nun verglichen. Ein auffälliger Bereich im Sonobild, der sich in der Szintigraphie blau darstellt, weil er keine oder nur eine sehr geringe Aktivität aufweist, ist verdächtig. Aktive Areale sind meist gutartig und treten gehäuft bei autonomen Schilddrüsenadenomen auf.

  • Kannst du prozentual angeben, wie oft kalte Knoten maligne sind?

    Etwa 5 % der kalten Knoten sind maligne.

  • Bei welcher Patientengruppe sind alle Knoten in der Schilddrüse malignomverdächtig?

    Kinder vor der Pubertät

  • Welche Untersuchung schließt sich noch an, wenn der Verdacht weiterhin besteht?

    Feinnadelbiopsie mit Punktionszytologie

Therapie

  • Was wird bei dem operativen Vorgehen entfernt?

    • Thyreoidektomie (inklusive ektopes Schilddrüsengewebe); Ausnahme ist das papilläre Mikrokarzinom
    • zentrale Lymphknoten; bei Befall auch die lateralen Lymphknoten
  • Welche Komplikationen sind speziell bei der Operation an der Schilddrüse gefürchtet?

    • Verletzungen des N. recurrens (Heiserkeit; bei beidseitiger Verletzung ggf. Atemprobleme)
    • postoperativer Hypoparathyreoidismus durch Entfernung der Nebenschilddrüsen
    • Trachealkompression durch Nachblutung → Notfalloperation zur Blutstillung erforderlich
  • Warum ist es wichtig, dass die Schilddrüse vor der Operation eine euthyreote Stoffwechsellage aufweist?

    Vermeidung einer thyreotoxischen Krise → durch die Manipulation an der Schilddrüse können Schilddrüsenhormone freigesetzt werden, eine bestehende hyperthyreote Stoffwechsellage ist dann eine ungünstige Vorbedingung

  • Welche Therapie wird meist nach der Operation durchgeführt?

    Radiojodtherapie

  • Welche Karzinome sind der Radiojodtherapie zugänglich?

    Bei differenzierten Karzinomen (papilläres und follikuläres) wird eine Radiojodtherapie durchgeführt. Das radioaktive Jod wird genauso wie das normale Jod von Schilddrüsenzellen aufgenommen, nur das es seine radioaktive Wirkung entfaltet und Schilddrüsengewebe zerstört. Undifferenzierte Karzinome (anaplastisches Karzinom) oder die C-Zellen, von denen das medulläre Karzinom ausgeht, nehmen kein Jod auf, daher funktioniert diese Therapie nicht.

  • Schilddrüsenzellen sowie deren Krebszellen und Metastasen besitzen einen Natrium/Jodid Symporter, um Jod aufzunehmen. In einigen Fällen kann dieser Transporter untergehen und verschlechtert die Prognose, da das radioaktive Jod auch nicht mehr aufgenommen werden kann. Weißt du, wie dieser Zustand genannt wird?

    Resistenz gegen Radiojod

  • Bekommen die Patienten nach der Operation eine Hormonsubstitution mit L-Thyroxin?

    Bei geplanter Radiojodtherapie normalerweise nicht sofort:

    Durch die fehlende L-Thyroxin Medikation, wird ein hoher TSH Wert erreicht. Wenn dann im Rahmen der Therapie Radiojod gegeben wird, wird es besonders gut von dem restlichen Schilddrüsengewebe aufgenommen. Der Erfolg der Radiojodtherapie kann dadurch verbessert werden.

  • Welche Therapie wird nach der Operation und Radiojodtherapie empfohlen?

    Suppressionstherapie mit L-Thyroxin:

    Durch die Gabe von L-Thyroxin wird TSH supprimiert, dadurch fällt die Stimulation auf das Schilddrüsengewebe und somit auch auf die malignen Zellen weg. Es sollte versucht werden, TSH soweit zu supprimieren, ohne Symptome einer Überfunktion zu verursachen. Erforderlich ist die Suppressionstherapie beim papillären und follikulären Karzinom. 

  • Wird das anaplastische Karzinom auch mit einer Operation behandelt?

    Eine Operation ist nicht erfolgversprechend und kommt nur palliativ zum Einsatz. Therapie der Wahl ist momentan die externe Röntgenbestrahlung.

  • Welche Blutwerte bestimmst du neben TSH, T3 und T4 während der Nachsorge?

    Tumormarker dienen der Verlaufskontrolle (Thyreoglobulin und Calcitonin)

  • Warum verbessert die Radiojodtherapie auch die Verlaufskontrolle?

    Gesundes Schilddrüsengewebe und die differenzierten Schilddrüsenkarzinome produzieren Thyreoglobulin. Nach OP und Radiojodtherapie liegt der Wert bei null. Da gesundes Schilddrüsengewebe nicht nachwächst, ist ein erneuter Anstieg des Thyreoglobulins auf ein Rezidiv zurückzuführen und kann frühzeitig entdeckt werden. Wird nach einer Operation Schilddrüsengewebe bzw. entartetes Gewebe, das bei der Operation nicht entfernt werden konnte, nicht durch eine Radiojodtherapie entfernt, kann nach einem Anstieg von Thyreoglobulin nicht gesagt werden, ob es durch gesundes Restgewebe oder malignes Schilddrüsengewebe produziert wurde.

  • Kannst du noch eine prognostische Einschätzung abgeben und dabei auf die verschiedenen Formen eingehen?

    • papilläres Karzinom → prognostisch am günstigsten; späte (lymphogene) Metastasierung, differenziert und daher gutes Ansprechen auf die Radiojodtherapie
    • follikuläres Karzinom → auch noch recht gut, häufig liegen bei Diagnose bereits hämatogene Fernmetastasen vor, differenziert und daher gutes Ansprechen auf die Radiojodtherapie
    • medulläres Karzinom → 5 JÜR liegt bei etwa 60 Prozent
    • anaplastisches Karzinom → sehr düstere Prognose, endet innerhalb von Monaten fast immer tödlich

Medulläre Schilddrüsenkarzinom

  • Das medulläre Schilddrüsenkarzinom sollte dich noch an ein weiteres Krankheitsbild denken lassen?

    MEN-Syndrom

  • Welche Zellen sind bei dem medullären Schilddrüsenkarzinom betroffen und welche Funktion haben sie normalerweise?

    C-Zellen → produzieren Calcitonin

  • Welcher Blutwert sollte ebenfalls den Verdacht auf ein medulläres Schilddrüsenkarzinom lenken?

    erhöhtes Procalcitonin ohne das Vorhandensein eines bakteriellen Infektes

  • Welches Symptom kann in der Spätphase bei der medullären Form noch hinzukommen?

    therapierefraktäre Durchfälle durch paraneoplastische Sekretion verschiedener Substanzen