FALL
Zu dir kommt ein 70-Jähriger Mann, der seit vielen Jahren an Diabetes mellitus Typ II erkrankt ist, raucht und eine schwere Herzinsuffizienz hat. Nun gibt er an, beim Spazierengehen ständig zum Anhalten gezwungen zu werden, weil er krampfartige Wadenschmerzen bekommt. Nach kurzer Pause kann er dann weiterlaufen. Seit geraumer Zeit hat er zunehmend auch nächtliche Wadenschmerzen und morgendliche Ödeme.
Krankheitsbild
-
Wie lautet deine Verdachtsdiagnose?
Periphere arterielle Verschlusskrankheit der unteren Extremität (Stadium III nach Fontaine)
-
Wie wird die pAVK hierzulande üblicherweise eingeteilt?
Fontaine-Ratschow
- I. asymptomatisch
- II. a) schmerzfreie Gehstrecke > 200m
- II. b) schmerzfreie Gehstrecke < 200m
- III. ischämischer Ruheschmerz
- IV. trophische Störungen.
-
Das Leriche-Syndrom ist eine Sonderform der pAVK. Was kannst du darüber berichten?
Verschluss der Aorta auf Höhe der Bifurkation
- akute Form z.B. durch Embolus → medizinischer Notfall ("6P" nach Pratt)
- chronische Form → durch Atherosklerose (typische pAVK Symptome - beidseitig - in der Gluteal- und Oberschenkelmuskulatur; hinzukommen können Blasenentleerungsstörungen sowie Erektionsstörungen)
-
Warum verläuft der akute Verschluss durch einen Embolus häufig dramatischer als der chronische Verschluss durch Atherosklerose?
Bei der chronischen Form hat der Körper bereits Kollateralkreisläufe ausgebildet.
-
Bei der pAVK kann anamnestisch auf die Lokalisation der Stenose geschlossen werden. Wo hat dein Patient mit Wadenschmerzen die Stenose und ab wo fehlen die Pulse?
Dein Patient → Oberschenkeltyp (50%)
- Stenose A. femoralis / A.poplitea
- Pulsverlust ab A. poplitea
- Wadenschmerzen
Peripherer Typ (15%)
- Stenose Unterschenkel- und Fußarterien
- Fußpulse fehlen
- Fußsohle schmerzt
Beckentyp (35%)
- Stenose Aorta / A. iliaca
- Pulsverlust ab Leiste
- Oberschenkel und Glutealregion schmerzen
-
Dein Patient leidet an einer pAVK im Stadium III. Kannst du pathophysiologisch erklären, warum Patienten in diesem Stadium morgens häufig Ödeme haben?
- hydrostatisch → schmerzbedingt lassen viele Patienten ihr Bein aus dem Bett hängen, um den Blutfluss im Bein zu verbessern
- ischämisch → der Perfusionsdruck ist im Liegen niedriger, dadurch wird das Bein schlechter mit Sauerstoff versorgt und die Kapillarpermeabilität erhöht sich
-
Weisst du, was das Walking-Through-Phänomen ist und was rätst du diesen Patienten?
Diese Patienten können den Schmerz “überlaufen”, d.h., wenn sie Schmerzen haben, reicht es aus, langsamer zu gehen, sie müssen keine Pause einlegen. Diesen Patienten solltest du dennoch raten, bei Schmerzen zu pausieren, da sonst kleinere ischämische Gewebeschäden resultieren können.
Diagnostik
-
Was interessiert dich nun anamnestisch?
Abfrage der Risikofaktoren für Atherosklerose (ursächlich in etwa 95%)
- Nikotinabusus (Hauptrisikofaktor)
- Diabetes mellitus
- arterielle Hypertonie
- Fettstoffwechselstörungen
Erfragung des Schmerzcharakters → Claudicatio intermittens
- ischämische Muskelschmerzen
- Besserung durch Tieflagerung oder Ruhe
- reproduzierbar unter Belastung
-
Wie sieht deine Basisdiagnostik aus?
Inspektion/Palpation
- Anzeichen für schlechte Hautdurchblutung → bleiche, kühle und marmorierte Haut, reduzierte Beinbehaarung, starke Verhornung der Fußsohlen, langsam wachsende Fußnägel, trockene Haut, reduzierte Schweißneigung, trophische Störungen
Pulsstatus
- Lumeneinengung über 90 Prozent → Pulsverlust
Auskultation
- Lumeneinengung über 60 Prozent → systolisches Stenosegeräusch
Knöchel-Arm-Index (systolischer RR am Knöchel / systolischer RR am Oberarm)
- pathologisch unter 0,9
-
Es gibt eine nicht apparative Untersuchung, die du aufgrund der schweren Herzinsuffizienz nicht durchführen darfst. Welche ist das und wie wird diese durchgeführt und interpretiert?
Lagerungsprobe nach Ratschow → Der Patient wird in Rückenlage gebeten, seine Füße senkrecht nach oben zu nehmen und Bewegungen in den Füßen durchzuführen. Nach zwei Minuten wird der Patient aufgefordert, sich auf die Liege zu setzen und seine Beine von der Liege hängen zu lassen.
pathologischer Befund in Rückenlage
- Schmerzen
- Blässe
- Seitendifferenz
pathologischer Befund nach dem Aufrichten
- die Füllung der Arterien dauert länger als 5-10 Sekunden (verzögerte reaktive Hyperämie)
- die Venenfüllung verzögert sich um mehr als 20 Sekunden
- Seitendifferenz
-
Die wichtigste apparative Screeninguntersuchung ist die Bestimmung des Knöchel-Arm-Index, daher solltest du grob wissen, was der Index aussagt.
Nach Ruhezeit ist der Blutdruck im Liegen bei Gesunden im Knöchelbereich etwas höher als an den Oberarmen. Wenn beide Blutdruckwerte (Knöchel und Oberarm) mit Hilfe von Blutdruckmanschette und Dopplersonographie gemessen und ins Verhältnis gesetzt werden, resultiert bei Gesunden ein Index von > 1. Je stärker die Durchblutung in den Beinen beeinträchtigt ist, desto niedriger wird der Index.
- 0,90 - 0,75 leichte pAVK
- 0.75 - 0,50 mittelschwere pAVK
- < 0,5 schwere pAVK
-
Dein Patient hat nun einen ABI von 1,4, obwohl du eine pAVK für sehr wahrscheinlich hältst. Wie könnte das erklärbar sein?
Da der Patient Diabetiker ist, könnte eine Mönckeberg-Sklerose ursächlich sein. Hierbei lagern sich Hydroxylapatit-Kristalle in der Tunica media der Gefäße ab und versteifen die Wand. Dadurch werden die Gefäße bei der Blutdruckmessung unter Umständen nicht adäquat komprimiert und es können falsch hohe Werte resultieren.
-
Kennst du einen anderen Index, den du nun bestimmen könntest?
Der Großzehen-Arm-Index könnte alternativ bestimmt werden, da die Digitalarterien von der Mönckeberg-Sklerose weniger betroffen sind. Werte unter 0,7 sind dabei als pathologisch zu werten.
-
Welche weitere Untersuchung lässt du durchführen, wenn Anamnese, klinische Untersuchung und ABI für eine pAVK sprechen?
Farbkodierte Duplexsonographie
-
Nenne Vorteile dieser Untersuchung?
- hohe Verfügbarkeit
- keine Strahlenbelastung
- keine Kontrastmittelgabe
- differentialdiagnostisch wertvoll
-
Kennst du weitere Untersuchungsmethoden, die bei bestimmten Fragestellungen herangezogen werden?
- CT-Angiographie, MR-Angiographie, DSA → bei unklarer Farbduplexsonographie oder vor/bei invasiven Eingriffen; keine Standarddiagnostik
- Belastungsuntersuchungen (Messung der schmerzfreien Gehstrecke, der maximalen Gehstrecke, ABI Messung vor und nach Belastung) → Diagnosestellung und Verlaufsbeurteilung
- transkutane Sauerstoffmessung → Abschätzung des Amputationsrisikos
-
Sagt dir das Irisblendenphänomen etwas?
Es handelt sich um einen klinischen Test, bei dem der Untersucher an der betroffenen Extremität die Haut mit dem Finger eindrückt. Bei einer höhergradigen pAVK färbt sich die Haut nach dem Loslassen nur vom Rande her wieder an und das deutlich verzögert.
Therapie
-
Kommen wir nun zur Therapie. Wie behandelst Du einen Patienten, der eine pAVK im Stadium I hat?
- Risikofaktoren-Management: Nikotinkarenz, Blutzuckereinstellung, Statine, Hypertoniebehandlung
- Thrombozytenaggregationshemmer können Anwendung finden, sind aber noch nicht obligat
- Gehtraining
-
Wie ist der positive Effekt des Gehtrainings auf den Krankheitsverlauf zu erklären?
Durch das Gehtraining kommt es zur Bildung von Kollateralgefäßen, die die Durchblutung verbessern.
-
Wie behandelst du einen Patienten im Stadium II?
- Risikofaktoren-Management
- Thrombozytenaggregationshemmer obligat
- strukturiertes Gehtraining
- Cilostazol oder Naftidrofuryl → durchblutungsfördernd (Empfehlung wurde eingeschränkt; nur in Erwägung ziehen, wenn die Lebensqualität erheblich eingeschränkt ist und/oder das Gehtraining nicht möglich ist)
-
Thrombozytenaggregationshemmer scheinen keinen positiven Effekt auf das Fortschreiten der pAVK zu haben, warum sind sie trotzdem essentieller Bestandteil der Therapie?
Die meisten Patienten mit einer pAVK versterben an kardialen oder zerebrovaskulären Ereignissen, da die Atherosklerose häufig das gesamte Gefäßsystem betrifft. Thrombozytenaggregationshemmer wirken hier präventiv und sind somit essentieller Bestandteil der Therapie.
-
Der Einsatz durchblutungsfördernder Medikamente wie Naftidrofuryl wird bei einer pAVK nicht unkritisch gesehen. Hast du eine Vorstellung, wie Kritiker argumentieren?
Durch diese Medikamente wird die Durchblutung in allen, also auch den gesunden Gefäßen, durch Erweiterung der Gefäße verbessert. Die bessere Durchblutung in den gesunden Gefäßen kann begünstigen, dass im kranken Gefäßabschnitt weniger Blut ankommt (Steal-Effekt).
-
Wie würdest du deinen Patienten im Stadium III therapieren?
- Risikofaktoren-Management
- Thrombozytenaggregationshemmer
- interventionelle Therapie / Operation
-
Warum ist das strukturierte Gehtraining ab Stadium III kontraindiziert?
Der Muskel würde der Haut - durch das Gehtraining - das nötige Blut, das für die Wundheilung erforderlich ist, entziehen.
-
Wie würdest du einen Patienten im Stadium IV therapieren?
- Risikofaktoren-Management
- Thrombozytenaggregationshemmer
- strukturierte Wundbehandlung ggf. mit Antibiose
- Schmerztherapie
- interventionelle Therapie / Operation
-
Wie heißt das interventionelle Standardverfahren?
Perkutane transluminale Angioplastie (PTA) → unter angiographischer Kontrolle wird über die Leiste ein Führungsdraht mit einem Ballon eingeführt, der dann über der Stenose geöffnet und das Gefäß so dilatiert wird (ggf. mit Stenting)
-
Kennst du ein weiteres interventionelles Verfahren?
Thrombolyse → lokal wird zum Beispiel Uro- oder Streptokinase verabreicht
-
Welche Operationsverfahren kennst du?
- Thrombendarteriektomie → die Arterie wird mit einem Schnitt geöffnet und der Thrombus mit der angrenzenden Gefäßwand herausgeschält und das Gefäß ggf. mit einem Patch wieder verschlossen
- Bypass → Anlage eines Umgehungskreislaufs
- Amputation
-
Welches Bypassmaterial wird bevorzugt verwendet?
autologe V. saphena magna
-
Hast du eine grobe Vorstellung, wann welches Verfahren eingesetzt wird?
Interventionelle Verfahren sind schonender und werden bevorzugt eingesetzt bei Versagen der bisherigen Therapie, wenn das Gehtraining nicht aufgenommen werden kann oder bei starkem Wunsch oder Beeinträchtigung des Patienten. Operative Verfahren kommen zum Einsatz, wenn interventionelle Verfahren ausgeschöpft sind oder ungeeignet erscheinen, z.B wenn die Läsion das Gelenk überschreitet (Femoralisgabelläsion).
-
Kannst du die letzte Ausführung erläutern?
Wenn in der Gelenkregion ein Stent eingesetzt werden würde, kann dieser durch Bewegung eine Fraktur erleiden und das Gefäß verschließen, daher wird ein operatives Vorgehen in Gelenkregionen bevorzugt.
-
Was könntest du einem Patienten mit höhergradiger pAVK anbieten, um eine Amputation zu verhindern und die Schmerzen zu mindern, wenn interventionelle und operative Verfahren nicht in Frage kommen?
Prostaglandin E1 (Infusionstherapie) hemmt die Thrombozytenaggregation und wirkt vasodilatatorisch. Der Effekt ist wissenschaftlich aber nicht eindeutig belegt. Zudem gibt es viele chronische Erkrankungen, die mit einer solchen Therapie nicht vereinbar sind.
-
Dein Patient hat, wie viele pAVK Patienten, neben einer pAVK zusätzlich einen Hypertonus. Was musst du bei der medikamentösen Hypertoniebehandlung bedenken?
- ACE Hemmer → klare Empfehlung bei pAVK
- Kalziumantagonisten → nur bis Stadium IIa klare Empfehlung (gefäßerweiternde Medikamente können ab Stadium IIb aufgrund des Steal-Phänomens eine Perfusionsminderung im poststenotischen Gefäßabschnitt bewirken)
- Betablocker → sind, obwohl das in manchen Lehrbüchern behauptet wird, nicht per se kontraindiziert und können bei der pAVK zum Einsatz kommen
Komplikationen
-
Welche Komplikationen drohen deinem Patienten aufgrund der pAVK?
- Herzinfarkt und Schlaganfall
- akuter Arterienverschluss
- Sepsisgefahr bei Wundinfektion
- ischämische Neuropathie